Ein Forschungsprojekt zu Mädchenräumen, Bubenräumen, Jugendräumen
Wer hat ein Recht auf die Stadt? Wie oft werden eigentlich Kinder und Jugendliche bei urbanen Planungen und Umgestaltungen gefragt, welche Freiräume und Spielräume sie brauchen? Das ForscherInnenteam „Mädchenräume – Bubenräume – Jugendräume“ wartete nicht auf diese selten gestellte Frage und nahm die Dokumentation ihrer Lieblingsorte selbst in die Hand. Eine Woche lang beschäftigten sich die ForscherInnen mit der Frage, an welchen Orten sich Kinder und Jugendliche im Grätzel gerne aufhalten, welche Orte sie oft nutzen und was ihnen im Grätzel fehlt. Dabei erkundeten sie die verschiedenen Möglichkeiten, sich ihre Lieblingsorte anzueignen und beschäftigten sich mit Einschränkungen über Vorschriften, Verbote oder Konflikte mit anderen GrätzelbewohnerInnen. Darüber hinaus vertieften sie ihre Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und deren Einfluss auf unser Verhalten im öffentlichen Raum: Sie führten dazu ein Experteninterview, produzierten eine Liebeskomödie und die Mädchen verfassten auch einen Rap-Text zu diesem Thema. Die ForscherInnen dokumentierten allerdings nicht nur ihre Sicht auf das Grätzel, sondern auch ihre Wünsche und Vorschläge für bauliche Veränderungen, die ihre Bedürfnisse nach Freiräumen besser abdecken. Ihre Ergebnisse fassten sie auf Plakaten zusammen. Das Team beschäftigte sich also mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Teilhabe am urbanen Leben und mit dem „Recht auf die Stadt“ von Kindern und Jugendlichen.
Seit der französische Soziologe Henri Lefèbvre „Das Recht auf die Stadt“ 1968 publizierte, wurde seine Forderung weltweit von zahlreichen sozialen Bewegungen und WissenschafterInnen aufgenommen und auf die jeweiligen Kontexte übertragen. Lefèbvre bezog sich damals u.a. auf die sozioökonomische Ausgrenzung von marginalisierten französischen Vorstädten und ihren BewohnerInnen. Urbaner Raum setzt sich für ihn aus drei Ebenen zusammen, auf denen StadtbewohnerInnen die Möglichkeit haben sollten, im Rahmen von Beteiligungsprozessen mitzubestimmen und sich den Raum kollektiv (wieder) anzueignen. Erstens gibt es die Ebene der „Raumrepräsentationen“ – dies sind gesellschaftliche Vorstellungen darüber, wie beispielsweise urbaner Raum auszusehen hat und wofür er genutzt werden soll. Stadtplanung und Architektur arbeiten sehr stark mit solchen Repräsentationen und geben damit viele Aneignungsmöglichkeiten vor. Zweitens gibt es aber auch noch die Ebene der Raumaneignung von Menschen, also die konkrete Nutzung des geplanten Raums. Diese „räumliche Praxis“ deckt sich nicht immer mit den Raumrepräsentationen, etwa wenn ein Teil des Volkertmarkts zum „temporären Ballkäfig“ umfunktioniert wird. Durch die räumliche Praxis von Menschen entstehen also innerhalb der geplanten Stadt neue Räume, und diese dritte Raumebene nennt Lefèbvre „Räume der Repräsentation“. Diese beiden letzten Ebenen standen bei der Forschung zu Mädchen-, Buben- und Jugendräumen im Mittelpunkt.
Wer ist eigentlich wo?
Die Ergebnisse der Grätzelforschung
Im Rahmen von Grätzelbegehungen erkundeten zunächst die Forscherinnen Mädchenräume und die Forscher Bubenräume. Dabei stellte sich jedoch bald heraus, dass die meisten Orte eigentlich Treffpunkte sowohl für Mädchen als auch für Buben sind. Die wichtigsten Ergebnisse der Forschung stellen wir nun kurz vor:
Die Mädchen halten sich beispielsweise gerne am Volkertmarkt rund um die dortigen Trampoline auf. Einerseits springen sie gerne auf den Geräten, darüber hinaus dienen die Trampoline aber auch als Treffpunkt. Die Mädchen sitzen dort, beobachten das Geschehen am Platz und plaudern. Ein Wermutstropfen ist allerdings, dass es immer zu wenig Hüpfgelegenheit gibt. Aus diesem Grund wünschen sich die Mädchen am Volkertmarkt auch noch viel mehr Trampoline.
Die Buben halten sich gerne in einer anderen Ecke des Volkertmarkts auf, nämlich gegenüber vom Jugendzentrum. Dort gibt es einen Platz, an dem Kinder und Jugendliche Ball spielen und ihn so temporär zu einem „Ballkäfig“ umfunktionieren. Nachdem dieser „Käfig“ allerdings keine Gitterbegrenzung hat, ist das nicht ganz unproblematisch: Der Ball rollt oft auf die Straße oder steuert auf PassantInnen zu, denen nicht immer ein Ausweichmanöver gelingt. Ein echter Ballkäfig würde daher allen zugute kommen und die Gefahren der fliegenden Bälle beseitigen, argumentieren die Forscher und wollen ihre Idee auch der lokalen Gebietsbetreuung mitteilen. Aber auch andere BewohnerInnen setzen sich offensichtlich für einen Ballkäfig ein, denn in mehreren Lokalen und Marktständen liegt eine Unterschriftenliste dafür auf.
Ein Ort, den vor allem die Mädchen nutzen, ist der Odeonpark zwischen Zirkus- und Odeongasse. Dieser Park liegt etwas versteckt zwischen den Häuserblöcken und hat einen schönen Spielbereich mit einer großen Nestschaukel. Die Mädchen treffen sich in diesem Park, um dort zu sitzen, zu spielen und zu plaudern – oder einfach, um in der Nestschaukel zu chillen. Der Odeonpark ist also ein Ort, an dem die Mädchen ihre Ruhe haben und den sie daher positiv und entspannend erleben.
Ein Ort, den Mädchen und Buben gleichermaßen nutzen, ist der „Rabbiner Friedmann Platz“ an der Heinestraße. Auf dem großteils betonierten Platz befinden sich einige eingelassene Spielgeräte. Da er direkt gegenüber von einem Penny-Markt liegt, nennen die Jugendlichen den Platz einfach „Pennypark“. Die Mädchen nutzen ihn zum Kicken, sie passen hier aber auch oft auf ihre kleineren Geschwister auf. Immer wieder kommt es jedoch zu Konflikten zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen, denn Fußballspielen ist auf dem Platz eigentlich verboten. Die Mädchen halten jedoch an ihren Bedürfnissen fest und wünschen sich im Pennypark bessere Spielgeräte und vor allem KEIN Ballverbot mehr!
Der wahrscheinlich am meisten genutzte Ort sowohl für Mädchen als auch für Buben ist der so genannte „Kleine Park“ in der Rueppgasse. Die Buben spielen dort gerne Fußball. Aber nicht nur sie: Auch einige Mädchen spielen dort sehr gerne mit, nur kommen sie nicht immer zum Zug, weil der Ballkäfig nur für zwei gegnerische Teams Platz bietet. Ähnliche Erfahrungen machen allerdings auch die Buben, denn im Park kommt es immer wieder einmal zu Konflikten zwischen jüngeren und älteren FußballspielerInnen. Daher wünschen sich die Buben mehr Tore im Käfig, damit unterschiedliche Gruppen Platz zum Spielen haben.
Ein weiterer wichtiger Treffpunkt für Mädchen und Buben ist „Abi´s Kebabstand“ direkt am Volkertmarkt. Hier wird allerdings nicht gespielt, gekickt oder gechillt, sondern gemeinsam gegessen und geplaudert. Auch Abi, der Besitzer des Kebabstands, unterhält sich gerne mit seinen jungen StammkundInnen.
Wer macht eigentlich was?
Ein Experteninterview zu Geschlechterrollen
Nach der Erkundung des Grätzels beschäftigten sich die ForscherInnen damit, warum Mädchen und Buben oft unterschiedliche Raumaneignungsstrategien verfolgen. Dazu führten sie ein Experteninterview mit dem Pädagogen Philipp Leeb durch, der beim Verein „Poika“ gendersensible Bubenarbeit macht. Mit Philipp wurden Fragen und Themen besprochen, die Geschlechterrollen und deren Einfluss auf unser Verhalten im öffentlichen Raum betreffen. Dabei erfuhren wir auch mehr über Philipp, seine Arbeit und sogar über die Sprachen, die er spricht…
Geschlechterrollen einmal anders?
Ein Rap zu alternativen Mädchenrollen
Nach der Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen überlegten sich die Mädchen in einem Workshop mit der Wiener Rapperin Yasmo einen Text, der sie von einer anderen Seite zeigt. Mit ihrem Hinweis darauf, dass Mädchen ebenfalls stark sind, gaben Dajana, Dijana, Merijem, Mihaela, Nataša und Zorica eine Antwort auf stereotype Bilder von „braven“ oder „schwachen“ Mädchen. Gemeinsam mit Yasmo und unserer Kollegin Marija entwickeln sie einen Text, der mit Schule-Schwänzen und Shisha-Rauchen beginnt und mit Frauenpower auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch endet…
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