Ein Forschungsprojekt zu Rassismus
„Haben Sie hier schon einmal Rassismus beobachtet?“ Diese Frage wurde im Rahmen eines einwöchigen Forschungsprojekts in der Rennbahnwegsiedlung oft gestellt – und sehr unterschiedlich beantwortet. Danijel, Dušan, Kelly, Marko und Mario, die Mitglieder des Forschungsteams „Rassismus am Rennbahnweg“, setzten sich eine Woche lang mit dieser Frage und den Einschätzungen der BewohnerInnen der Rennbahnwegsiedlung auseinander. Dabei fanden sie heraus, dass es verschiedene Erfahrungen mit Rassismus und daher auch sehr verschiedene Meinungen zum Thema gibt.
In der Vorbereitung recherchierte das Forschungsteam zum Thema Rassismus und führte dazu ein Expertinneninterview mit der Künstlerin Sandra Selimović. In dieser Phase ging es also vor allem darum, sich ein Bild davon zu machen, was Rassismus eigentlich ist und wie er funktioniert. Im Interview selbst ging es dann aber auch um ganz andere Fragen, wie zum Beispiel um den Zusammenhang von Sprache und Rassismus. Bei der Forschungsphase in der Rennbahnwegsiedlung selbst arbeitete das Team mit Interviews und befragte BewohnerInnen der Siedlung. PassantInnen, aber auch Bekannte, Verwandte und MitschülerInnen wurden interviewt.
Abschließend setzte sich das Forschungsteam auch mit eigenen Erfahrungen auseinander – diese Vorgangsweise lag auf der Hand, da der Großteil der ForscherInnen auch selbst in der Siedlung wohnt. Die Befragungen wurden mit Videokameras und Aufnahmegeräten dokumentiert und danach besprochen. Am Ende der Woche fand außerdem eine Reflexionsrunde statt, bei der wir alle gemeinsam noch einmal über die Ergebnisse der Forschung diskutierten. In den drei Forschungsphasen traten ziemlich unterschiedliche Diskussionen und Ergebnisse zutage.
1. Die Vorbereitung:
Was ist eigentlich Rassismus?
Als Vorbereitung setzte sich das Forschungsteam damit auseinander, was Rassismus eigentlich ist und wie er zu erkennen ist. Dazu wurde ein Text besprochen und ein Expertinneninterview mit der Schauspielerin und antirassistischen Performance-Künstlerin Sandra Selimovic durchgeführt. Sandra beschäftigt sich in ihrer Arbeit oft mit Rassismus und dabei speziell mit der Geschichte und Gegenwart von Antiromaismus – also Rassismus gegen Roma und Sinti. Gemeinsam mit ihrer Schwester gründete sie den Theaterverein „Romano Svato“ („Sprache/Zunge der Roma“) und erzählte im Interview von ihrem ersten Stück „Gypsy Stop Dancing“. Darin adaptierte sie die Lebensgeschichte des Boxers Johann „Rukeli“ Trollmann und versetzte sie ins heutige Ungarn. Johann Trollmann war deutscher Boxmeister und wurde, weil er Sinto war, während des Nationalsozialismus verfolgt, in ein KZ deportiert und dort ermordet. Zuvor wurde er von den nationalsozialistischen Machthabern gezwungen, seinen Meistertitel in einem Schaukampf abzugeben. Aus Protest verwandelte er sich bei diesem Kampf in eine „arische Karikatur“ und boxte weiß bemalt und mit blond gefärbten Haaren. → www.romanosvato.at
Auch in anderen Arbeiten beschäftigt sich Sandra mit dem Nachwirken der österreichischen Geschichte in der Gegenwart und auch mit der Verfolgung von Roma und Sinti sowie Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus. Sie erzählte uns daher auch mehr über ihre Adaption vom „Lied von der Ordnung“, das der jüdische Schriftsteller Jura Soyfer vor seiner Deportation und Ermordung in den 1930er Jahren verfasst hatte. Danach erfuhren wir einiges über Antiromaismus heutzutage und hier kam vor allem das Bettelverbot in österreichischen Städten zur Sprache. Auch die Verschärfungen des österreichischen Fremdenrechts und deren fatale Auswirkungen auf die Lebenssituation von Personen ohne österreichische StaatsbürgerInnenschaft wurden besprochen. Dabei fanden wir heraus, dass auch das Forschungsteam mit diesem Thema schon einmal Erfahrungen gemacht hatte. Ein weiterer Diskussionspunkt war der Zusammenhang von Sprachhierarchien und Rassismus und es wurde besprochen, dass bestimmte Sprachen – wie etwa Romanés, Vlaški oder auch Kurdisch – vor allem innerhalb der Familie gelernt und weitergegeben werden, weil sie nicht gleich anerkannt sind wie andere Sprachen. Bevor sich das ForscherInnenteam wieder auf den Weg zur Rennbahnwegsiedlung machte, unterhielten wir uns abschließend noch über Boxen und andere Kampfsportarten…
2. Die Forschung – eine Befragung zu Rassismus am Rennbahnweg
Inspiriert durch das Expertinneninterview ging das Forschungsteam gleich nach unserer Rückkehr in die Siedlung an die Arbeit und führte Interviews zum Thema Rassismus durch. PassantInnen, aber auch Bekannte, Verwandte und MitschülerInnen wurden nach ihrer Einschätzung gefragt, ob es in der Siedlung generell rassistische Vorfälle gibt und ob sie selbst schon einmal solche Vorfälle beobachtet hatten. Im Zuge dessen wollten die ForscherInnen von ihren InterviewpartnerInnen auch wissen, ob ihnen Gerüchte über bestimmte Gruppen zu Ohren gekommen waren. Dann fragten sie nach, ob irgendjemand auch selbst einmal von Rassismus betroffen gewesen war und bekamen dabei sehr unterschiedliche Antworten. Außerdem wurde gefragt, ob sich die Interviewten selbst als rassistisch gegenüber anderen einschätzen würden und auf diese Frage antworteten die wenigsten mit Ja. Eine weitere Frage war, ob die Interviewten schon einmal bei rassistischen Vorfällen eingegriffen hätten – diese Frage wurde von mehreren Personen bejaht. Auffällig war für das Forschungsteam dabei allerdings, dass diese Frage ausschließlich von denjenigen mit ja beantwortet wurde, die erzählten, auch selbst schon einmal von Rassismus betroffen gewesen zu sein. Also diskutierte die Gruppe, ob das Eingreifen vielleicht auch damit zusammenhängen könnte, dass die Interviewten Rassismus schon einmal am eigenen Leib erfahren hatten. Zwei Interviewpartner ohne Migrationshintergrund – so genannte „Bio-Ösis“ – waren sich zum Beispiel recht einig, dass Rassismus am Rennbahnweg keine Rolle spielt.
Im Gegensatz dazu formulierten InterviewpartnerInnen mit Migrationshintergrund ganz andere Einschätzungen der Lage. Sie nahmen immer wieder rassistische Vorfälle und pauschale Gruppenzuschreibungen wahr. In einem Interview ging es daher auch sehr ausführlich darum, dass es falsch ist, über bestimmte Gruppen als Ganzes zu sprechen. Es gibt nicht DIE „TürkInnen“, oder DIE „SerbInnen“ oder DIE „ÖsterreicherInnen“ meinte der Interviewpartner, der selbst Kurde ist – denn sobald wir anfangen Menschen in bestimmte Gruppen einzuteilen, wiederholen wir eine ganz grundsätzliche Funktionsweise von Rassismus…
Ein anderer Interviewpartner erzählte ganz explizit von Beschimpfungen in der Siedlung die sich in erster Linie gegen Personen richten, die nicht ganz „bio-österreichisch“ aussehen und auch andere Sprachen als Deutsch sprechen…
Aber nicht nur das: Recherchen ergaben außerdem, dass der Besitzer der Pizzeria im Einkaufszentrum der Siedlung sogar tätlich angegriffen worden war! Das Forschungsteam vereinbarte daher einen Interviewtermin, bei dem er uns genauer erzählte, was damals passiert war: Die Pizzeria wurde gegen Sperrstunde von betrunkenen BewohnerInnen der Siedlung überfallen und zum Teil demoliert. Die BesitzerInnen erstatteten daraufhin Anzeige und brachten sogar Videoaufnahmen vor Gericht, in denen der Überfall selbst und die rechten Parolen, die dabei gerufen wurden, dokumentiert waren. Leider wurden die AngreiferInnen trotz dieser erdrückenden Beweislage nicht verurteilt, was nicht nur die BesitzerInnen der Pizzeria, sondern auch die ForscherInnen als große Ungerechtigkeit empfanden …
Dem Forschungsteam war also bald klar, dass Rassismus am Rennbahnweg sehr wohl ein Thema ist – auch wenn es nicht für alle eine gleich große Rolle spielt. In einer Reflexionsrunde am letzten Tag der Forschung sprachen wir gemeinsam noch einmal über die Dinge, die herausgefunden wurden.
3. Reflexionen – Wer sieht Rassismus und wer sieht ihn nicht?
In einer Reflexionsrunde am letzten Tag der Forschung ließ das Team gemeinsam noch einmal die neuen Erkenntnisse Revue passieren. Dabei wurden gleich zu Beginn die unterschiedlichen Einschätzungen über Rassismus am Rennbahnweg diskutiert. In der Diskussion einigten sich die ForscherInnen schließlich darauf, dass ihre Theorie wahrscheinlich stimmt und es tatsächlich mit der Erfahrung von Rassismus zusammenhängt, ob man ihn bemerkt oder nicht. Denn wer noch nie erfahren hat, was es heißt zu einer bestimmten Gruppe gezählt und deshalb schlecht behandelt zu werden, kann schnell einmal glauben, dass so etwas sehr selten passiert. Allerdings ist unser aller Alltag immer auch von Rassismus geprägt, nur müssen sich nicht alle auf die gleiche Weise mit Alltagsrassismus herumschlagen. Sehr deutlich wird das in den beiden folgenden Interviewausschnitten. Das erste wurde schon erwähnt und zeigt einen Zusammenschnitt der Fragen an die beiden Interviewpartner ohne Migrationshintergrund. Das zweite führte Kelly mit ihrer Schulkollegin Rebecca. Rebecca wurde schon oft mit Rassismus gegen schwarze Personen konfrontiert und erzählte uns, wie sie darauf reagiert. Entweder setzt sie sich dagegen zur Wehr oder sie ignoriert ihn – allerdings würde sie sicher nicht auf die Idee kommen, dass es in der Rennbahnwegsiedlung keinen Rassismus gibt:
Ein zweiter Diskussionspunkt betraf die Tatsache, dass es in der Siedlung relativ viele Gerüchte über Roma gibt. Dies kam zwar in den Interviews selbst nicht vor, wurde aber vom Forschungsteam eingebracht, da die ForscherInnen ja selbst in der Siedlung wohnen und daher bestens über diese Gerüchte Bescheid wissen. Ein Mitgrund, warum es diese Gerüchte gibt ist wahrscheinlich der, dass es in der Siedlung eine gut sichtbare Community gibt, die sich auch Raum nimmt. Denn im Sommer halten sich einige befreundete Familien ganz einfach gerne draußen auf und nutzen den reichlich vorhandenen Grünraum, um zu picknicken – und das ist wohl einigen BewohnerInnen ein Dorn im Auge. Dabei würde sich hier doch eine ganz andere Frage stellen, nämlich: Sollten wir nicht alle eigentlich viel mehr im Freien Zeit verbringen? Denn wofür wurde am Rennbahnweg Grünraum für alle eingeplant, wenn dann diejenigen schief angesehen werden, die ihn auch nutzen?
Das Nachdenken über Gerüchte brachte uns schließlich auf ein letztes Thema: auf das Ergebnis nämlich, dass sehr unterschiedliche Gerüchte über unterschiedliche Gruppen existieren. Das weist darauf hin, dass es offensichtlich auch unterschiedliche Formen von Rassismus gibt. Was sich allerdings bei jeder Form von Rassismus findet, ist die Gleichmacherei von Personen und die Vorstellung, dass immer alle zu einer bestimmten Gruppe gehören (müssen). Genau dieses Grundmerkmal von Rassismus wurde auch in einem Interview angesprochen als unser Interviewpartner deutlich machte, dass es nicht DIE RumänInnen, DIE TaiwanesInnen oder DIE ArmenierInnen gibt.
Das wäre übrigens auch eine Antwort des Forschungsteams auf die Frage, die sich die ForscherInnen abschließend stellten, nämlich: Was können wir eigentlich alle gegen Rassismus tun? Die eine Antwort lag schon auf der Hand: Wir sollten aufpassen, dass wir keine Gruppenzuschreibungen machen. Eine zweite Antwort war auch schnell gefunden und die lautete: Wir sollten Rassismus nicht ignorieren, egal ob wir davon betroffen sind oder nicht – wir sollten uns einmischen! Wir können die Welt natürlich nicht im Alleingang aus den Angeln heben und Rassismus abschaffen, aber wir sollten nicht wegschauen. Denn das Hinschauen ist der erste Schritt zur Veränderung. Das machten ja auch die ForscherInnen in ihrem Projekt und sie zeigten damit ganz deutlich, dass wir immer einen kleinen (oder größeren) Beitrag zu einer Welt ohne Rassismus leisten können!